Dabei geht man davon aus, dass der Markt überreagiert hat oder das Unternehmen trotz aktueller Schwäche über langfristiges Potenzial verfügt. Typische Merkmale solcher Titel sind stark gefallene Kurse, schlechte Stimmungslage und teils enttäuschende Fundamentaldaten. Ziel ist es, unterbewertete Werte zu einem extrem günstigen Kurs zu erwerben – allerdings besteht die Gefahr, sogenannte „Falling Knives“ zu erwischen, also Aktien, die weiter abstürzen. Bottom Fishing erfordert daher ein gutes Gespür für Trendwenden, fundierte Analyse und ein konsequentes Risikomanagement.
Wie funktioniert Bottom Fishing bei Aktien?
Bottom Fishing bei Aktien funktioniert, indem gezielt Titel gesucht und gekauft werden, die nach starken Kursverlusten als unterbewertet gelten und potenziell vor einer Trendwende stehen. Anleger setzen darauf, dass der Markt die Aktie überverkauft hat und eine Erholung einsetzt, sobald sich Fundamentaldaten oder Marktstimmung verbessern. Die Strategie folgt dabei keinem blinden Griff ins fallende Messer, sondern basiert auf bestimmten Kriterien, die auf einen möglichen Wendepunkt hindeuten können.
Typische Merkmale der Bottom-Fishing-Strategie sind:
- Starker Kursverfall: Die Aktie ist oft 50 % oder mehr vom vorherigen Hoch entfernt.
- Überverkaufte technische Indikatoren: Tools wie der RSI oder die Stochastik zeigen einen extrem überverkauften Zustand.
- Negativer Sentiment-Höhepunkt: Die öffentliche Meinung oder Medienberichterstattung ist sehr negativ – häufig ein Kontraindikator.
- Fundamentale Unterbewertung: Das KGV, KBV oder andere Bewertungskennzahlen liegen historisch oder im Branchenvergleich deutlich unter dem Durchschnitt.
- Potenzielle Trigger: Anstehende Ereignisse wie Turnarounds, Restrukturierungen oder neue Produkte können als Katalysatoren wirken.
Erfahrene Bottom-Fisher kombinieren diese Signale mit Geduld, um nicht in kurzfristige Erholungsfallen zu tappen. Der Einstieg erfolgt meist gestaffelt, begleitet von einem klar definierten Ausstiegsszenario für den Fall, dass sich der Abwärtstrend fortsetzt.
Kennzahlen beim Bottom Fishing
Beim Bottom Fishing spielen klassische Bewertungskennzahlen eine zentrale Rolle, um unterbewertete Aktien zu identifizieren. Anleger achten dabei weniger auf kurzfristiges Momentum, sondern auf Hinweise darauf, dass eine Aktie fundamental zu günstig bewertet ist – oft trotz temporärer Schwäche oder negativer Schlagzeilen. Die folgende Tabelle zeigt wichtige Kennzahlen und ihre typische Bedeutung in diesem Kontext:
Kennzahl | Bedeutung beim Bottom Fishing |
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) | Ein sehr niedriges KGV kann auf Unterbewertung hinweisen, besonders im Vergleich zum Branchenschnitt. |
Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) | Ein KBV unter 1 signalisiert, dass der Markt die Aktie unter ihrem Substanzwert bewertet. |
Free Cashflow | Positiver freier Cashflow trotz Kursverfall kann ein Zeichen für operative Stabilität sein. |
Verschuldungsgrad | Eine moderate Verschuldung gibt Spielraum für Turnaround-Maßnahmen und reduziert das Insolvenzrisiko. |
Dividendenrendite | Eine hohe Dividendenrendite kann attraktiv wirken – sofern die Ausschüttung nachhaltig ist. |
Diese Kennzahlen sollten jedoch immer im Gesamtbild betrachtet werden – in Kombination mit Branchendaten, Zukunftsaussichten und dem allgemeinen Marktumfeld. Ein niedriger Wert allein macht noch keine gute Bottom-Fishing-Gelegenheit.
Bottom Fishing Strategien
Bottom Fishing kann auf unterschiedliche Weise umgesetzt werden – je nachdem, ob der Fokus stärker auf fundamentalen Daten oder auf technischen Signalen liegt. Die Wahl der Strategie hängt dabei vom Zeithorizont, der Risikobereitschaft und der analytischen Herangehensweise des Anlegers ab.
Fundamentales Bottom Fishing (Value Ansatz)
Diese Herangehensweise ist stark vom klassischen Value Investing geprägt. Anleger analysieren Bewertungskennzahlen wie KGV, KBV oder den Discounted Cashflow und versuchen, Überreaktionen des Marktes zu identifizieren.
Typischer Anwendungsfall: Ein Unternehmen meldet ein schwaches Quartalsergebnis aufgrund eines temporären Problems (z. B. Lieferkettenstörung), wird massiv abgestraft, bleibt aber langfristig stabil. Der Investor sieht eine Fehlbewertung und kauft zu günstigen Kursen.
Technisches Bottom Fishing (Rebound-Trading)
Trader nutzen technische Analyse, um überverkaufte Aktien mit Rebound-Potenzial zu finden. Tools wie RSI, MACD, Bollinger Bänder oder Candlestick-Muster helfen dabei, Wendepunkte zu erkennen.
Typischer Anwendungsfall: Nach einem Kurssturz und negativen News schwächt sich der Verkaufsdruck sichtbar ab, das Volumen sinkt, ein Hammer-Candlestick erscheint – ein kurzfristiger Long-Einstieg wird erwogen.
Hybrider Ansatz
Viele erfahrene Investoren kombinieren beide Ansätze: Sie suchen zunächst fundamental unterbewertete Aktien und steigen erst dann ein, wenn auch technische Signale eine Stabilisierung andeuten. So soll das Risiko eines zu frühen Einstiegs reduziert werden.
Ereignisgesteuertes Bottom Fishing
Diese Strategie konzentriert sich auf einmalige oder temporäre Ereignisse wie Skandale, Managementwechsel, Rückrufe oder Naturkatastrophen. Entscheidend ist die Annahme, dass der Schaden begrenzt ist und die Märkte überreagieren.
Risiken beim Bottom Fishing
Bottom Fishing mag auf den ersten Blick verlockend erscheinen – schließlich suggeriert ein stark gefallener Kurs die Chance auf ein riesiges Rebound-Potenzial. Doch genau hier liegt auch der zentrale Trugschluss der Strategie: Ein Kursrückgang allein ist kein Kaufargument. Aktien, die bereits 80 % verloren haben, können problemlos noch einmal 80 % fallen – ausgehend vom neuen, vermeintlich günstigen Kurs. Der Verlust setzt sich nicht linear fort, sondern potenziell exponentiell – was viele Anleger unterschätzen.
Der Trugschluss des niedrigen Preises
Ein drastischer Kursverfall erzeugt oft das Gefühl eines „Schnäppchens“. Doch: Ein niedriger Kurs sagt nichts über den wahren Wert eines Unternehmens aus. Viele Unternehmen fallen nicht ohne Grund – sei es wegen schwacher Geschäftsmodelle, struktureller Probleme, Managementversagen oder drohender Insolvenz. Wer hier ohne sorgfältige Analyse zugreift, investiert nicht günstig – sondern möglicherweise in ein sinkendes Schiff.
Beispiel:
Ein Unternehmen fällt von 100 € auf 20 €. Ein weiterer Rückgang auf 4 € bedeutet wieder einen Verlust von 80 %. Der Drawdown wird nicht durch vergangene Verluste begrenzt – im Gegenteil: Solche Aktien stehen oft am Rand der Bedeutungslosigkeit oder operativen Kapitulation.
Kritik am KGV: Trügerisch einfach, gefährlich irreführend
Ein besonders häufiger Fehler im Bottom Fishing ist die blinde Orientierung am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Zwar gilt ein niedriges KGV oft als Zeichen von Unterbewertung – doch in Krisenunternehmen ist es eher ein Warnsignal.
Warum das KGV problematisch ist:
- Vergangenheitsbezogen: Das KGV basiert meist auf historischen Gewinnen, die in Zukunft so nicht mehr bestehen müssen.
- Gewinnverzerrung: Ein einmaliger Sondereffekt oder Bilanztrick kann den Gewinn (und somit das KGV) kurzfristig aufblasen.
- Zukunftsrisiken ausgeblendet: Ein niedriges KGV kann auch bedeuten, dass der Markt zukünftige Gewinne stark anzweifelt oder sogar Verluste erwartet.
- Value Trap-Gefahr: Viele Aktien mit dauerhaft niedrigem KGV stagnieren über Jahre oder fallen weiter – der Preis ist niedrig, weil das Geschäftsmodell schwach ist.
Kurz: Ein niedriges KGV ist keine Einladung, sondern häufig eine Warnung.
Falling Knives & Value Traps
Der Begriff „Falling Knife“ beschreibt eine Aktie im freien Fall. Der Versuch, sie zu greifen, endet oft mit Verlusten – besonders dann, wenn keine technische Bodenbildung erkennbar ist. Auch vermeintlich „günstige“ Aktien können jahrelang niedrig bleiben oder weiter abrutschen.
Value Trap:
Hierbei handelt es sich um Unternehmen, die dauerhaft billig erscheinen, aber fundamental nie den Turnaround schaffen. Der Anleger ist über Jahre gebunden, während sein Kapital keine Rendite bringt – oder weiter schrumpft.
Psychologische Fallstricke
Bottom Fishing spielt auch stark mit der Anlegerpsychologie:
- Verlustaversion: Anleger neigen dazu, gefallene Aktien zu kaufen, weil sie glauben, das Risiko sei nun geringer. In Wahrheit ist es oft höher.
- Bestätigungssuche: Anleger suchen nach Informationen, die ihre Hoffnung auf eine Erholung stützen – statt nüchtern die Faktenlage zu prüfen.
- Geduld wird überstrapaziert: Wer auf eine Erholung setzt, muss oft Jahre warten – und verpasst in der Zeit bessere Chancen mit starken Aktien
Bottom Fishing – Analyse des Aktienzyklus
Ein zentrales Problem beim Bottom Fishing ist die Unsicherheit darüber, in welcher Phase des Aktienzyklus sich eine Aktie tatsächlich befindet. Viele Anleger verwechseln den Übergang von einer Abwärtstrendphase (Phase 4) in eine potenzielle Bodenbildungsphase (Phase 1) mit einer echten Trendwende – und steigen damit deutlich zu früh ein. Selbst erfahrene Investoren tun sich schwer, den exakten Wendepunkt zu bestimmen, da Phase 1 und Phase 4 auf den ersten Blick ähnlich wirken können: Beide zeigen wenig positive Kursentwicklung, wirken träge und wenig einladend. Doch die Risiken unterscheiden sich erheblich.
Wer Bottom Fishing betreibt, braucht ein tiefes Verständnis für den technischen Zustand der Aktie. Viele Anleger steigen in Phase 4 oder früh in Phase 1 ein – in der Hoffnung, den Tiefpunkt zu erwischen. Doch genau hier liegt die Gefahr: Ohne klare Zeichen für den Übergang zu Phase 2 (Aufwärtstrend) bleibt Bottom Fishing ein Ratespiel mit hohem Verlustrisiko. Besser: Abwarten, bis Stärke sichtbar wird. Momentum-Strategien setzen genau hier an – sie steigen erst ein, wenn die Aktie aus Phase 1 klar nach oben ausbricht und neue Hochs markiert. Wer dagegen zu früh agiert, läuft Gefahr, sein Kapital langfristig in toten Titeln zu parken – oder tiefer in die Verlustzone zu geraten.
Mark Minervini beschreibt in Trade Like a Stock Market Wizard die Phasen einer Aktie sehr präzise – insbesondere anhand von Kursverhalten, gleitenden Durchschnitten und Volumenmustern. Nachfolgend eine strukturierte Übersicht, die Bottom-Fishern helfen kann, den aktuellen Aktienzyklus besser einzuschätzen:
Phase 4 – Abwärtstrend (Kapitulation)
Merkmale laut Mark Minervini:
- Der Aktienkurs bewegt sich meist unter dem 200-Tage-Durchschnitt
- Der 200-Tage-Durchschnitt fällt deutlich
- Die Aktie bildet niedrigere Tiefs und niedrigere Hochs – typisches Abwärtstreppenmuster
- Es treten regelmäßig Volumenspitzen an Abverkaufstagen und -wochen auf
- Rallys sind meist kurz und schwach, begleitet von geringem Volumen
- Mehr Abverkaufstage mit hohem Volumen als Aufwärtsbewegungen mit Volumen
Bottom Fishing in dieser Phase ist besonders riskant – selbst scheinbar „billige“ Kurse können sich als Zwischenstation auf dem Weg nach unten entpuppen.
Phase 1 – Bodenbildung (Konsolidierung)
Merkmale laut Mark Minervini:
- Seitwärtsbewegung um den gleitenden 200-Tage-Durchschnitt
- Kein klarer Aufwärtstrend, aber auch kein neues Tief
- Das Volumen ist gering oder schwindet
- Der Kurs zeigt weder Stärke noch Schwäche, sondern oszilliert in einer engen Spanne
Auch in Phase 1 ist der Einstieg schwierig – die Aktie kann monatelang seitwärts laufen, während das Kapital unproduktiv gebunden ist. Ohne begleitende Katalysatoren oder zunehmendes Kaufvolumen bleibt ein nachhaltiger Trendwechsel aus.
Fazit zum Bottom Fishing
Bottom Fishing bezeichnet den Versuch, stark gefallene Aktien in der Nähe ihres vermeintlichen Tiefpunkts zu kaufen – in der Hoffnung auf eine baldige Kurserholung. Die Strategie kann bei richtiger Anwendung hohe Renditen ermöglichen, insbesondere wenn der Markt überreagiert hat und sich das Unternehmen operativ stabilisiert.
Zu den Vorteilen zählen das potenziell günstige Einstiegsniveau, die Aussicht auf überdurchschnittliche Gewinne und die Möglichkeit, unterbewertete Unternehmen frühzeitig zu entdecken.
Doch die Risiken überwiegen oft: Stark gefallene Aktien können weiter abstürzen, vermeintlich niedrige KGVs entpuppen sich als trügerisch, und viele Titel bleiben über Jahre in einer Seitwärtsbewegung oder verlieren weiter an Wert. Wer ohne klare Analyse und Risikomanagement einsteigt, greift schnell ins sprichwörtliche fallende Messer.Für die meisten Anleger ist ein Momentum-Ansatz – also das gezielte Investieren in starke, aufwärtsgerichtete Aktien mit überzeugendem Chartverhalten und guten Fundamentaldaten – die robustere und planbarere Alternative. Statt auf Hoffnung zu setzen, folgt man der tatsächlichen Marktstärke. Bottom Fishing bleibt damit eine Spezialdisziplin für erfahrene Investoren mit hohem Analyseaufwand.